unter besonderer Berücksichtigung der Zeitschrift FILMDIENST
Durch das Verpacken der Bücher für Zwischenlagerung und Umzug Ende 2015 sowie das Einsortieren des kompletten Bestandes in die neue Filmstudio-Bibliothek (Raum 103, neben dem Gefü-Büro in der Elisabethstraße) im August und September 2019 ergab sich die Gelegenheit, die Gesamtheit der eingestaubten Schätze zu sichten und das eine oder andere genauer unter die Lupe zu nehmen. Das letzte angeschaffte Buch – sieht man einmal von dem Bildband BAVARIA FILM: ONE HUNDRED YEARS IN MOTION (Bavaria Film GmbH 2019) ab, der dem Filmstudio als Schenkung überlassen wurde – stammt aus dem Jahre 2003: BLOCKBUSTER – ÄSTHETIK, ÖKONOMIE UND GESCHICHTE DES POSTKLASSISCHEN HOLLYWOODKINOS; Informationen über aktuellere Entwicklungen nach der Jahrtausendwende liefern die Zeitschriften BLICKPUNKT:FILM, EPD FILM und FILM&TV KAMERA (früher: FILM&TV KAMERAMANN), von denen die letzten beiden auch archiviert werden.
Betrachtet man den Bestand chronologisch, so fällt auf, daß in den 60er und 70er Jahren eine beeindruckende Menge bedruckten Papiers zum Thema Film in Zeitschriftenform produziert und vom Filmstudio archiviert wurde. Es gibt unter anderem Sammlungen von FILM, FILMKRITIK, EVANGELISCHER FILM-BEOBACHTER, CAHIERS DU CINÉMA, MONTHLY FILM BULLETIN und SKOOP, letztere in den Sprachen Französisch, Englisch und Niederländisch.
Die 80er und 90er Jahre waren die Zeit der populär ausgerichteten „Heyne Filmbibliothek“, die damals jedem Cineasten ein Begriff war. Die Erscheinungsjahre der im Filmstudio vorhandenen Taschenbücher dieser Reihe liegen zwischen 1979 und 1997, wobei die Veröffentlichung der fremdsprachigen Originalausgaben teilweise bis in die erste Hälfte der 70er Jahre zurückreicht. Der Schwerpunkt liegt hier klar auf Schauspielern, es finden sich jedoch auch Bände zu Regisseuren, Genres und anderem.
Die genannten Zeitschriften und Heyne-Taschenbücher sind selbstverständlich nur ein kleiner Teil des Gesamtbestandes, es gibt außerdem: großformatige Bände zu einzelnen Schaupielern, drei Regalmeter mit Regisseuren von A bis Z, technische Bücher (Fotopraxis, 16mm, Tontechnik etc.), Untersuchungen zu einzelnen Genres und zur Filmgeschichte (insbesondere deutsche Filmgeschichte), Bildbände, Filmtexte, Filmtheorie und anderes mehr. Auffällig unterrepräsentiert sind dagegen Themen wie „Musik“ und „Ausstattung“, zu denen sich jeweils gerade einmal zwei Titel finden. Tatsache ist ja leider, daß Künstler und Techniker, die in der Vor- und Nachproduktion oder jenseits des Regiestuhls hinter der Kamera wirken, nur wenig Aufmerksamkeit erhalten: Kameraleute und Tonkünstler, Ausstatter und Designer, Kostüm- und Maskenbildner, Cutter, Komponisten und Musiker. Es gab und gibt auf dem Buchmarkt durchaus Veröffentlichungen zu diesen Themen, die aber nur äußerst selten den Weg ins Filmstudio gefunden haben.
Wie bereits erwähnt, ist die Neuanschaffung von Büchern um die Jahrtausendwende eingeschlafen. Beim Stöbern in der Bibliothek erhalten wir Einblicke in eine vergangene Zeit, die erstaunen, amüsieren oder befremden.
„Der Kapitalismus mobilisiert im Wettbewerb mit dem Sozialismus alle Reserven, um seinen unvermeidlichen Untergang aufzuhalten. [...] Vor allem die kulturellen Mittel, die die ideologische Einflußnahme auf große Massen der Bevölkerung ermöglichen, wurden mobilisiert und in das System der psychologischen Kriegführung einbezogen. [...] der Film [ist] eines der Massenmedien, das in den Händen des Kapitalisten mehr Übel als Nutzen bringt und die Massen fast ausnahmslos mit dem ideologischen Gift des Spätbürgertums verdirbt.“
So beginnt FILMKUNST IN DER AGONIE, eine Promotionsschrift von Erhard Kranz, verteidigt am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED im Oktober 1962. Weitere Zitate daraus:
(S. 163) „In der kapitalistischen Gesellschaft besteht ein tiefer Widerspruch zwischen Filmkunst und Profitstreben der Film-Unternehmer. [...] Die auf der kapitalistischen Warenproduktion und dem Profitstreben beruhenden ökonomischen Gesetze sind mit jeder echten künstlerischen Tätigkeit unvereinbar [...]“
(S. 166) „Die Standardisierung im Kapitalismus, die in anderen Wirtschaftszweigen dazu dient, rationeller zu arbeiten, mehr und billiger Produkte herzustellen und damit immer größeren Profit zu machen, bedeutet für die Filmproduktion das Ende jeglicher schöpferischen Tätigkeit, bedeutet das Ende der Filmkunst. Die westdeutsche Filmproduktion ist tief von diesem Standardisierungsprozeß durchdrungen, der von oberflächlichen, banalen Handlungen, stereotypen, platten Personen und anderen toten Schemata gekennzeichnet ist. So wurden Filme, die einmal ein überdurchschnittliches finanzielles Ergebnis erreicht hatten, zu ganzen Serien ausgeweitet, ohne Rücksicht darauf, ob sie einen künstlerischen Wert hatten [...] Ein charakteristisches Beispiel dafür ist die Serie der 'Sissi'-Schnulzen [...]“
Während wir immer noch auf den Untergang des Kapitalismus warten, wird man zugeben müssen, daß diese in der sozialistischen Terminologie vorgetragenen Analysen nicht völlig an der Realität vorbeigingen bzw. -gehen. Heute gibt es Fortsetzungen, Franchises und Remakes in einer solchen Fülle, daß nicht nur die werktätigen Massen, sondern auch die Kritiker darin kaum noch etwas anderes zu sehen vermögen als den Normalzustand.
Ideologie anderer Art begegnet uns in Gérard Lennes LE SEXE A L‘ECRAN, 1978 als Großformat in Frankreich erschienen, während im Filmstudio die deutsche Sparausgabe des Heyne-Verlags unter dem Titel DER EROTISCHE FILM zugänglich ist. Hier als kleine Kostprobe unkommentiert ein besonders wirrer Abschnitt aus dem endlos mäandernden Text dieses stark von den Ideen der 68er-Bewegung geprägten Werkes:
(S. 634) „Das fehlende Glied in der Kette: Das was man überall mit einer so großen Einmütigkeit, die einen einzigartig analytischen Durchblick ermöglicht, die 'Weiterentwicklung der Sitten' nennt, beinhaltet ganz gewiß die Vorstadien einer großen Veränderung, die aus uns, den Zeitgenossen dieses Jahrhunderts, so etwas wie das 'fehlende Glied in der Kette' zwischen dem 'Homo sapiens' und seinem Nachfolger macht, der wird lernen müssen, seinen Intellekt und seine sexuellen Bedürfnisse harmonisch aufeinander abzustimmen.“
Mehrere Titel im Bestand beschäftigen sich mit Trickaufnahmen. Ein besonderer Schatz zu diesem Thema ist DER FILMTRICK UND DER TRICKFILM von Werner Reff und Istvan Vasarhelyi, erschienen in der dritten Auflage 1968 beim VEB Fotokinoverlag Leipzig. Die Autoren richten sich an Amateurfilmer und geben mit vielen instruktiven Abbildungen Anleitungen zu den verschiedenen Techniken des Trickfilms: Zeichenfilm, Silhouettenfilm, Puppentrick usw. Ebenfalls hochinformativ für alle, die etwas über die Verfahren und die Persönlichkeiten der handgemachten Tricks der analogen Ära lernen möchten, ist der reich illustrierte Band SPECIAL EFFECTS, herausgegeben von Rolf Giesen anläßlich einer Retrospektive der 35. Internationalen Filmfestspiele Berlin 1985.
Fast lückenlos seit 1957 ist das Archiv des FILMDIENST, herausgegeben von der „Katholischen Filmkommission für Deutschland“. Diese wichtige Publikation, die in den siebzig Jahren ihres Bestehens eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht hat (ebenso übrigens wie ihr protestantisches Gegenstück, der EVANGELISCHE FILMBEOBACHTER), soll im folgenden etwas genauer betrachtet werden.
Sehen wir uns zunächst die 1961 erschienene Besprechung der italienisch-französischen Koproduktion ANTINEA/DIE HERRIN VON ATLANTIS an:
„[...] Trotz aller Roheit in der äußeren Gestaltung, aller geistreichelnden Pseudo-Philosophie und der verzweifelten Bemühung um tiefenpsychologische Argumente wirkt dieser penetrante Kitsch einfach lachhaft. Offensichtlich inspiriert von den Amerika-Importen einer Jules Verne verpflichteten Cartoon-Machart, reiten Italiens Filmleute diese Sorte abenteuerlicher Unterhaltung für geistig labile Zeitgenossen mit europäischer Gründlichkeit vollends zu Tode. Auch wenn die Erheiterung vorherrschen mag, sind in Anbetracht der recht massiven Geschmack- und Taktlosigkeiten, die sich der Film leistet, Vorbehalte unumgänglich.“
Der EVANGELISCHE FILM-BEOBACHTER steht in der Formulierungskunst kaum nach:
„[...] Einen Sinn, ein Ziel hat dieser Film voller utopischer Spinnereien und exzentrischer Phantasie, Höhlenromantik und Wüstensentimentalität nicht. Verwegene Männer, Schablonen längst vergangener Räuberromantik, und die Sexbombe von Atlantis beherrschen das in seiner Banalität und Naivität nicht mehr zu überbietende Geschehen. [...]“
Ronald M. Hahn und Volker Jansen sprechen im Zusammenhang mit solcherlei Ergüssen in ihrem LEXIKON DES SCIENCE FICTION FILMS (München 1987; dieser Titel ist nicht Teil der Filmstudio-Bibliothek) von der
„fantasielosen, mit Irrwitz gepaarten Dreistigkeit, mit der noch 1960 Filme kritisierende Vertreter des Klerus beinahe allen utopisch-fantastischen Streifen begegneten. Da wurde alles über das Bekannte Hinausgehende mit Schaum vor dem Mund als hanebüchen abgetan und jede über den eigenen Horizont hinausreichende Form der Unterhaltung als spinnerter Unfug für geistig Zurückgebliebene abgetan.“
Und im Hinblick auf die zitierten Kritiken:
„[...] hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen [...] DIE HERRIN VON ATLANTIS war sicher weit davon entfernt, ein Meisterwerk der Filmkunst zu sein [...] aber wer mit den falschen Argumenten auf ein Trivialfilmchen eindrischt und in Wirklichkeit die Fantasie meint (und mag sie auch noch so gering sein), der zeigt, wes Geistes Kind er ist.“
Nun ist nicht von der Hand zu weisen, daß das Kino der 60er für den gewöhnlichen Cineasten eine ziemlich triste Angelegenheit gewesen sein dürfte, wären ausschließlich vom FILMDIENST gelobte Werke vorgeführt worden. Doch sehen wir uns zwei weitere Beispiele an:
Zu FRANKENSTEINS UNGEHEUER/THE EVIL OF FRANKENSTEIN, einer Produktion des für seine Dracula- und Frankenstein-Filme mit den Stars Peter Cushing und Christopher Lee bekannten britischen Hammer-Studios, lesen wir im FILMDIENST 1965:
„Die Fabel mit ihrer diesmal mehr unterschwelligen Verneinung der menschlichen Leib-Seele-Einheit wurde zu einer Kollektion des Widerwärtigen ausgearbeitet [...]“
Hier wird das Leib-Seele-Problem angesprochen. „Aber es ist doch nur Fiktion“, könnte man einwenden. Wir erinnern uns: In der ursprünglichen Geschichte kann Frankenstein seine Kreatur zum Leben erwecken, weil die Seele bzw. das Bewußtsein nichts von Gott kommendes ist, sondern etwas rein Physikalisches: Energie, die sich durch die Nutzbarmachung der Blitzentladung eines Gewitters in den aus Leichenteilen zusammengeflickten Körper des Monsters leiten läßt. Heute sind uns vergleichbare Geschichten unter Stichworten wie „Transhumanismus“ und „Künstliche Intelligenz“ geläufig: Geschichten von Robotern und Androiden, die Bewußtsein entwickeln und lebendig werden, Geschichten von Menschen, die ihr Bewußtsein in einen anderen Körper transferieren lassen, usw. Die Freiheit der menschlichen Phantasie und die Freiheit der Kunst erlauben es, dergleichen zu erzählen. Wenn aber nun diese Geschichten allesamt auf fragwürdigen Prämissen beruhen, sollten wir es dann nicht begrüßen, wenn gelegentlich jemand wie jener FILMDIENST-Autor seine Stimme erhebt, um darauf hinzuweisen? Denn Filme (auch, oder gerade dann, wenn wir sie nur als „Unterhaltung“ konsumieren) formen unser Bewußtsein – und das umso mehr, wenn bestimmte Ideen im Sinne einer subtilen Propaganda stetig und ohne Gegenstimmen über längere Zeiträume hinweg wiederholt werden.
Unser zweites Beispiel bezieht sich auf die entzückende Hollywood-Komödie SONNTAG IN NEW YORK von 1963. Sie wird folgendermaßen beschrieben und bewertet:
„Ein Mädel aus der amerikanischen Provinz wird im Verlauf eines Sonntags von der 'rückständigen' Auffassung bekehrt, es sei ehrsam, als Jungfrau in die Ehe zu gehen. [...] Keineswegs wird etwa die freie Liebe oder sexuelle Hemmungslosigkeit gepredigt. Doch die Moral des Streifens lautet eindeutig: wenn der Richtige zum Heiraten da ist, dann seid nicht dumm und wartet etwa. Und damit spricht der Film aus, was heutzutage leider Gemeinplatz einer laschen Sittlichkeit geworden ist.“
Wer den Film kennt, mag sich fragen, ob er sich tatsächlich „eindeutig“ auf jene Moral festlegen läßt, die der FILMDIENST-Autor erkannt zu haben glaubt. Unabhängig davon wollen wir uns aber einmal die Frage stellen, ob wir es den damaligen Kritikern vorwerfen dürfen, daß sie Filme wegen der Propagierung von Haltungen, die der katholischen Lehre widersprechen, kritisierten? Die Kirche glaubt schließlich, daß diese Lehre wahr ist. Die Autoren damals waren keine Cineasten im Sinne einer „l‘art pour l‘art“, sondern Vertreter einer Institution, der sie sich verpflichtet fühlten. Und die Kirche sah, zumindest damals noch, ihre Aufgabe darin, den Menschen genau das zu vermitteln, was als gültige Wahrheit überliefert wurde.
Doch die Zeiten ändern sich. Als der FILMDIENST Ende 2017 sein Erscheinen einstellte, wurde er zwar immer noch von der „Katholischen Filmkommission“ herausgegeben, hatte aber schon längst seine katholischen Wurzeln gekappt und sich vollständig dem Zeitgeist assimiliert. Passenderweise präsentiert denn auch die allerletzte Seite des allerletzten Heftes eine Anzeige, für die eine Abbildung des Moses mit den zwei Gesetzestafeln herhalten muß. Wer braucht eigentlich noch die Zehn Gebote, die ursprünglich auf diesen Tafeln Platz fanden? Jetzt lesen wir dort einen Hinweis auf den Internet-Auftritt des FILMDIENST und ein Angebot an die Abonnenten, zur evangelischen „Konkurrenz“ (EPD FILM, Nachfolger des FILMBEOBACHTERS) zu wechseln – so einfach kann Ökumene sein.
Der Weg des FILMDIENST verlief also von einer Haltung freudloser Strenge hin zum totalen Ausverkauf. Sehen wir uns abschließend noch zwei Beispiele aus der Zeit dazwischen, aus der Zeit des Übergangs, an:
Nicolas Roegs BAD TIMING handelt von der zerstörerischen Leidenschaft zwischen einem Universitätsprofessor und einer charakterlich sehr komplizierten jungen Frau. Ein FILMDIENST-Autor der 60er Jahre hätte es sich vielleicht nicht nehmen lassen zu erwähnen, daß die Qualen der beiden Protagonisten hätten vermieden werden können, wenn sie gemäß der kirchlichen Empfehlung ihre Leidenschaften beherrscht hätten, anstatt sich von ihren Leidenschaften beherrschen zu lassen; wenn sie geprüft hätten, ob sie zusammenpassen, bevor sie sich körperlich miteinander einlassen; zumindest dem als kühler Verstandesmensch dargestellten Professor hätte diese Option offen gestanden. Für einen Vertreter klerikaler Filmkritik wären solche Einlassungen zweifellos naheliegend gewesen. Ob man deswegen im Jahre 1980 möglicherweise aber schon als „rückständig“ gebrandmarkt worden wäre? Der Autor jedenfalls begnügt sich mit der vagen Behauptung, der Film sei
„trotz der pessimistischen Zuspitzung, ein vehementes Bekenntnis zu Partnerschaft und bedingungsloser menschlicher Hingabe [...]“
und laviert mit dieser Vereinfachung am Kern von Roegs komplexem Meisterwerk vorbei, in welchem in einer Szene explizit eine Hingabe gefordert wird, die das Preisgeben der eigenen Würde (!) beinhaltet.
Ebenfalls im Jahre 1980 besprochen wurde der beliebte Klassiker DAS LEBEN DES BRIAN. Der Film verkörpert die nihilistische Weltsicht der Komikertruppe „Monty Python“, eine Weltsicht, welche wenige Jahre später im programmatisch betitelten MONTY PYTHON'S DER SINN DES LEBENS ihren vollendeten Ausdruck finden sollte. Teilt man besagte Sicht, ist DAS LEBEN DES BRIAN unglaublich komisch; teilt man sie nicht, ist der Film immer noch unglaublich komisch, ist eventuell aber kein gänzlich ungetrübtes Vergnügen mehr. Die Pythons weisen alles Heilige, Spirituelle, Sinnerfüllte von sich; die großen Fragen des Lebens – die Suche nach Wahrheit, der Sinn des Leidens, der Wunsch nach Erlösung – halten sie sich vom Leib, indem sie alles unterschiedslos mit ätzendem Spott überziehen. DAS LEBEN DES BRIAN ist Dokument ihres überragenden Talents als Komiker, ebenso aber Dokument ihrer spirituellen Ignoranz, und letztere kann vom gläubigen Zuschauer nur schmerzlich als Defizit empfunden werden.
Wie soll also nun der klerikale Kritiker darauf reagieren? Den Film loben, weil er zum Lachen reizt (das legitime Ziel jeder Komödie) und es dabei belassen? Oder aber die „künstlerischen Qualitäten“ des Films von der zugrunde liegenden Weltsicht trennen und beides gesondert behandeln? Was wir letztlich im FILMDIENST lesen, bringt die Problematik kaum auf den Punkt und ist deutlich zwiegespalten: Während der Kritiker dem LEBEN DES BRIAN nicht ohne Wohlwollen begegnet und den Film ausdrücklich gegen den Vorwurf der Blasphemie in Schutz nimmt, fällt das Gutachten der Kommission (Anmerkung: die FILMDIENST-Kritiken setzen sich zusammen aus der persönlichen Meinung eines einzelnen Kritikers und dem kurzen „Gutachten der Kommission“) demgegenüber vernichtend aus:
„Eine mit krampfhaftem Klamauk und Kalauern überladene Satire [...] Geschmacklos, zum Schluß zynisch und in manchen Szenen für Christen beleidigend. – Wir raten ab.“
Freilich erfahren wir von der Kommission nicht, welche Szenen genau als „für Christen beleidigend“ angesehen werden und ob dies wirklich für alle Christen gilt. Beleidigt zu sein ist nun einmal eine sehr persönliche Reaktion...
Bei der dargelegten Wandlung des FILMDIENST handelt es sich selbstverständlich nicht um ein isoliertes Phänomen; vielmehr verlief sie parallel und entsprechend der Wandlung der Kirche allgemein seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil.
Was ich durch die genannten Beispiele aus dem FILMDIENST zeigen wollte, ist folgendes: Daß ich einerseits Filme nach den von ihnen selbst vorgegebenen Maßstäben beurteilen kann, also zum Beispiel die Fragen stelle: Ist die Story glaubwürdig? Ist sie originell? Sind die Schauspieler und die Spezialeffekte überzeugend? Erfüllt der Genre-Film die im Genre angelegten Erwartungen? Andererseits können Filme aber auch, wenn man es zuläßt, zur Auseinandersetzung mit wichtigen oder gar existentiellen Lebensfragen beitragen. Der FILMDIENST war einmal, bei allen seinen Fehlern, eine Stimme, die Filme auch von dieser existentiellen, anti-relativistischen Seite her ernst genommen hat; und nach einer vergleichbaren Stimme müssen wir in der heutigen Filmpublizistik lange suchen.
Zum Schluß möchte ich noch auf einige weitere interessante Titel aus dem Buchbestand hinweisen:
Angemessen vergilbt ist das Filmstudio-Exemplar von EINE ARCHÄOLOGIE DES KINOS (Reinbek bei Hamburg, 1965), verfasst von C. W. Ceram (Pseudonym von Kurt Wilhelm Marek). Hier kann man nachlesen, wie alles begann, in technischer Hinsicht. Reich illustriert mit 293 Abbildungen.
DAVID O. SELZNICK'S HOLLYWOOD von Ronald Haver (Frankfurt am Mai 1981) ist mit den Abmessungen 28,5 mal 36 mal 3 Zentimeter das voluminöseste Buch in der Filmstudio-Sammlung. Größe und Gewicht des monumentalen Werkes passen zu der überlebensgroßen Figur des David O. Selznick, Produzent von VOM WINDE VERWEHT und DUELL IN DER SONNE.
VAMPIR FILMKULT von David Pirie (Gütersloh 1977) ist insofern bemerkenswert, als hier auch das Werk des weitgehend unbekannt gebliebenen Regisseurs Jean Rollin (1938-2010) behandelt wird, eines Außenseiters des französischen Kinos, der im Mai 2003 im Filmstudio zu Gast war, um persönlich einen seiner späteren Filme vorzustellen.
Eine reichhaltige Sammlung von Entwürfen, Skizzen, Storyboards und Postermotiven findet sich in THE ART OF STAR WARS. Die drei Bände zu den Filmen der originalen Star-Wars-Trilogie wurden ursprünglich in den Jahren 1979, 1980 und 1983 veröffentlicht; das Filmstudio besitzt die "First Revised Edition" von 1997.
Die Reihe GRUNDLAGEN DES POPULÄREN FILMS wurde von Georg Seeßlen, einem der produktivsten deutschsprachigen Filmwissenschaftler, seit 1979 im Rowohlt Verlag herausgegeben. Im Filmstudio sind verfügbar: WESTERN-KINO, KINO DES PHANTASTISCHEN (Horror), KINO DES UTOPISCHEN (Science Fiction), KINO DER ANGST (Thriller), KINO DER GEFÜHLE (Melodram), MORD IM KINO (Detektivfilm) und DER ABENTEURER. Jeder Band besteht aus zwei Teilen: zunächst wird die Mythologie des jeweiligen Genres untersucht, daran schließt sich ein filmhistorischer Abriß an. Die Bände wurden in den 90er Jahren vom Schüren Verlag inhaltlich verändert erneut herausgegeben; zuletzt erschienen im selben Verlag unter dem Reihentitel GRUNDLAGEN DES POPULÄREN FILMS: FILMWISSEN aktualisierte und überarbeitete Neuauflagen der Bände WESTERN (2010), DETEKTIVE (2010), ABENTEUER (2011) und THRILLER (2013).
Leon Kelz, im September 2020